Ein Nachruf auf Wolfgang Clement: Gestalter und Antreiber

Wolfgang Clement war 2008 unser erster Gastprofessor. Wir können – zusammen mit der Stiftung Mercator – jährlich eine Gastprofessur für Politikmanagement an der NRW School of Governance vergeben. So sichern wir für die Lehre eine praxisrelevante Übersetzung und Illustration von politischen Mehrheitsfindungen. Clement war dazu besonders geeignet. Denn er verfügte als Kabinettsmitglied und Ministerpräsident von NRW über langjährige Führungserfahrungen in einem der größten Länder Europas. Hinzu kam sein Wirken als Bundesminister im Kabinett von Schröder, so dass die verschiedenen Arenen des Regierens mit seiner Person eindrucksvoll verbunden werden konnten.

Ich werde nie seinen ersten Besuch in Duisburg vergessen. Er wollte unbedingt auf meinem Stuhl an meinem Schreibtisch mal sitzen, wie ein Professor der Politikwissenschaft. Der Beruf imponierte ihm wohl. Er gab sich höchst selbst reflektiert, so dass wir mit den Master-Studierenden wichtige Schlüsselentscheidungen in Düsseldorf und Berlin präzise analysieren konnten. Für den wissenschaftlichen Diskurs war er extrem aufgeschlossen. Für die Studierenden war er ein wichtiger Impuls- und auch Ratgeber.

Um zu verstehen, was ihn angetrieben hat, soll nachfolgend kurz systematisch auf sein persönliches Verständnis des Politikmanagements in NRW eingegangen werden. Im Buch „Regieren in NRW“ (Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden 2006) haben wir (Martin Florack, Timo Grunden, Karl-Rudolf Korte) uns mit Strukturen, Stilen und Entscheidungen der Ministerpräsidenten von 1990 bis 2006 analytisch auseinandergesetzt.

Was zeichnete das Besondere am Regierungsstil von Wolfgang Clement aus?

Grundsätzlich stellte sich auch für Ministerpräsident Wolfgang Clement die Herausforderung, dieSteuerbarkeit des politischen Systems in NRW mit der Steuerungsfähigkeit der politischen Akteure inÜbereinstimmung zu bringen. Sein individueller Regierungsstil innerhalb dieses Politikmanagements ist deutlich erkennbar und unterschied sich deutlich von seinem Vorgänger. Clements persönlicheVoraussetzungen für ein effizientes und effektives Politikmanagement waren optimal. Als ehemaliger Leiterder Staatskanzlei kannte er das Steuerungspotenzial der Regierungszentrale. Er verfügte als Wirtschaftsminister von NRW über Kenntnisse zur Ausgestaltung von Ressortvorhaben. Was Clementdeutlich von Rau unterschied, war die Machtressource Partei. Clements Defizit in diesem Bereich – auch anparlamentarischer Erfahrung – musste er über andere Handlungsarenen kompensieren: Wer wenigerpolitische Macht in der Parteien- und Koalitionsdemokratie besitzt, muss sich schwerpunktmäßigHandlungskorridore in den anderen Bereichen der Ministerpräsidenten-, der VerhandelndenWettbewerbsdemokratie- und der Mediendemokratie, aber auch außerhalb der Politik in der Wirtschaft, inden Medien und bei Verbänden erschließen. Idealtypisch kommt es zum Gleichklang von Darstellungs- undEntscheidungspolitik. Angesichts der asymmetrischen Machtgrundlagen von Clement bestand sein Politikmanagement jedoch tendenziell eher in der Darstellungs- als in der Entscheidungspolitik.

Ministerpräsidentendemokratie

Durch den Umzug der Staatskanzlei in das Düsseldorfer Stadttor setzte Clement gleich zu Beginn seinerAmtszeit ein symbolisches Zeichen für den intendierten Modernisierungskurs. Ein Stilwechsel im Zeichen desStrukturwandels sollte sichtbar werden Die Architektur kam als imagebildende Maßnahme daher.

Als „Vorstandsvorsitzender der NRW AG“ führte er aus der Staatskanzlei heraus. Doch eine klar strukturierteKoordinationseinheit war nur schwer erkennbar. Drei Regierungssprecher in vier Jahren und mehrere interneUmstrukturierungen deuten eher auf Verschleiß als auf geplante Effizienz hin. Auch seine Personalpolitik war häufig von Pannen geprägt – von der Suche nach einem Justizminister über den Fall desFinanzministers bis zum Austausch der Bundesrats- und Europaminister. Clement führte Gespräche – formale Hierarchien oft ignorierend –, als müsste täglich ein imaginärer Redaktionsschluss erreicht werden.Auf der Darstellungsebene lässt sich das Bild des Modernisierers und Managers, das Clement schon durchden Umzug der Staatskanzlei versuchte zu vermitteln, auch in den Regierungserklärungen wiederfinden.Clement vollzog hier einen radikalen Bruch mit dem Politikstil seines Vorgängers, auf dem er gleichwohl zumTeil aufbaute.

Viele Netzwerke, persönliche und institutionelle Beziehungen zu Gewerkschaften, Unternehmen undVerbänden wurden weiterhin genutzt, wenn auch mit anderer Intensität und Richtung. Die Verbände undandere Akteure hatten sich mehr oder weniger darauf eingestellt, es nun mit einem Ministerpräsidenten zutun zu haben, der ebenfalls für ihre Anliegen da war und in vielen Politikfeldern eine festgefahrene Situationwieder in Gang zu setzen versprach – nicht nur auf seinen vermeintlichen „Spielwiesen“.

Auch andere Politikbereiche „beackerte“ Clement – wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam: Auf dem„Baugipfel“ der Landesregierung 2001

kümmerte er sich ebenso um die desolate Bauwirtschaft wie um den Erhalt von Mannesmann gegen diedrohende Übernahme durch Vodafone. Es war ihm grundsätzlich wichtig, Dinge, die scheinbar ihren Laufnahmen, noch einmal umzudrehen und sich ihnen wenigstens kämpfend in den Weg zu stellen. Dies warmehr als nur symbolische Politik, denn mit „Baugipfeln“, Änderungen des Vergaberechts, Rettung vonGedenkstätten usw. erreicht man nur äußerst geringe, allenfalls lokale Medienpräsenz.

Verhandelnde Wettbewerbsdemokratie

In den Untiefen der Verhandlungsdemokratie konnte die sozialdemokratische Handschrift von Clementherausgearbeitet werden. Viel Neben- und Miteinander, die Fortsetzung konkordanzdemokratischerVerfahren und Entscheidungen, korporatistische Steuerungsformen und eine Politik der Akkomodierunglassen sich nachweisen. Dies wurde vor allem im Bereich der Arbeitsmarkt- und Standortpolitik sichtbar.Clement versuchte, an die partnerschaftliche Kooperationskultur zwischen öffentlichen und privaten Akteurenanzuknüpfen. Was die Bund-Länder-Bereiche betraf, setzte er auf seine guten Verbindungen zumBundeskanzler. Häufig versuchte er „über Bande“ zu spielen: Die Übereinstimmung mit Schröder sollteverhandlungsdemokratische Knoten in NRW auflösen. Doch grundsätzlich konnte Clement zahlreicheEntscheidungen – beispielsweise im Bereich der Kohle- und Steuerpolitik – die mit zahlreichen Nachteilen fürdie Industrie in NRW verbunden waren, nicht verhindern.

Parteiendemokratie

Clement war ein Mann der Exekutive, ein Seiteneinsteiger in die Politik, der seine Distanz zur Gremien-,Funktionärs- und Entscheidungskultur der SPD stilisierte. Die Ideale der Sozialdemokratie hingegen hatte ernicht verinnerlicht. Aus seiner Sicht musste er stets als ein durch die Partei „gefesselter Modernisierer“arbeiten. Clement, der nie Parteivorsitzender war und weder in der Partei noch in der Fraktion eineverlässliche Machtbasis hatte, nutzte die Partei auf vollkommen andere Weise als sein Amtsvorgänger. Mehrheiten versuchte er mit Hilfe von Amtsautorität und Überzeugungsfähigkeit zu organisieren – manchmalauch mit der Drohung, dass er ja auch „gehen“ könne. Partei und Fraktion auf der anderen Seite wussten,dass sie ohne Clement noch schlechter dastehen würden. Clement wollte seine Politik nicht durch die Partei,sondern medienvermittelt durchsetzen. Ob Verkehrspolitik oder Medienpolitik – Clement preschte vor undmusste sich dann von der Partei wieder ausbremsen lassen, weil er versäumt hatte, die Partei im Vorfeldeinzuweihen. Eine strategische Planung oder ein Versuch, die Fraktion in den Entscheidungsprozesseinzubinden, fand nicht statt.

Koalitionsdemokratie

Als Wirtschaftsminister hatte Clement die Konflikte mit den Grünen zu Garzweiler schon intensiv kennengelernt und eine zentrale Verhandlungsrolle gespielt. Das Zweckbündnis mit den Grünen trieb er häufig bisan Ausstiegsszenarien heran. Die Ausgangslage bei den Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen 2000 war für Clement sehr gut. Durch eine in seinem Sinne forcierte Medienberichterstattung konnte er sie nochverbessern. Die Karte einer sozialliberalen Koalition blieb ein wichtiger Trumpf für Clement. Konflikte erklärteer zur Chefsache, um so seinen Willen zur Problemlösung zu demonstrieren. Im Kern stimmte sich Clementmit seinem Wohnungsbauminister und stellvertretendem Ministerpräsidenten Vesper ab, wenn er die Grünenfür seine Politik brauchte. Bärbel Höhn ließ er agieren, soweit sie nicht die Substanz seiner Vorhabenkritisierte. Im Kabinett wurde um Entscheidungen lang miteinander gerungen. Clement förderte eine offene,durchaus konfliktreiche Diskussionskultur, achtete aber immer auf Zeitlimits. Er entschied innerhalb derKabinettssitzung, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hielt. Insofern war es für die Ressorts ratsam, imVorfeld Einigkeit herzustellen.

Mediendemokratie

Als Standortpolitik förderte und forcierte er erfolgreich und intensiv die Medienbranche. Allerdings kam esdabei zu einer Reihe von öffentlich gewordenen Pannen. Als ehemaliger Journalist war ihm wichtiger, etwaszu bewegen, als um konsensuale Abstimmung zu ringen. Hatte ein Thema das öffentliche Interesse verloren,wandte er sich einem neuen Bereich zu. Als Tempomacher und Anschieber nutzte Clement „Going Public“ alsStrategie, um mit medialer Präsenz Stimmungen in Stimmen zu überführen.

 

Univ. Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte

Direktor der NRW School of Governanc

 

 

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